Ein Zivilisierungsprozess im Zeitalter des totalen Krieges? Ehrenwort und Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg
Conférence de Jasper Heinzen (résident 2017-2018 de l'IEA de Paris) dans le cadre du séminaire de recherche en histoire de la Goethe-Universität.
Résumé
Die neuere Forschung betont das hohe Ausmaß von Gewalt und die systematische Verletzung von Völkerrechtsnormen, denen sich die acht Millionen Kriegsgefangene des Ersten Weltkriegs ausgesetzt sahen. Mein Vortrag verfolgt das Ziel, ein bislang wenig beachtetes Paradox dieser Entwicklung zu ergründen. Entgegen der in der Literatur häufig vertretenen These, die ‚zivilisierten Kriegführung‘ sei der Totalisierung des Krieges zum Opfer gefallen, belegen zahlreiche Quellen aus deutschen, englischen und französischen Archiven, dass dies nur bedingt zutrifft. Praktiken wie ‚Parole d’honneur‘, welche es Gefangenen gestatte ihre persönliche Ehre zu verpfänden, um größere Bewegungsfreiheit bzw. Heimaturlaub zu erlangen, fanden auch weiterhin Anwendung und wurden teilweise sogar auf neue Bereiche ausgedehnt. Das Fortbestehen von transnationalen Ehrabkommen bietet Einsichten in mehrere Themenkomplexe, die derzeit im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen: beispielsweise die Rolle von Humanitarismus im Massenkrieg, das Handlungsvermögen von Individuen angesichts von ‚omnipresent systems of power‘ (Heather Jones) in der Gefangenschaft, sowie dem Verhältnis zwischen der persönlichen Soldatenehre und dem kollektiven Image europäischer Nationen. Im Zuge der Massenmobilisierung wurden Wehrpflichtige mehr denn je zu Staatsbürgern in Uniform stylisiert, denen immanent Ehre gebührte. Diesem horizontalen Ehrverständnis standen aber die vertikal angelegte Standesehre des Offizierskorps entgegen und mehr noch die Abneigung der Militärbehörden, dem einzelnen Soldaten die Entscheidungsgewalt darüber zu überlassen, unter welchen Bedingungen er seine Ehre einsetzen und somit seinen weiteren Verbleib im Krieg bestimmen konnte. Inwiefern die Aushandlung jener Konflikte als Beitrag zu einem Zivilisierungsprozess in der modernen Kriegführung verstanden werden mag, wird sich im Vortrag zeigen.
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La quête d'une guerre civilisée : prisonniers de guerre et le concept d'honneur militaire en Europe occidentale, 1750-1918 01 septembre 2017 - 30 juin 2018 |
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